Biography The Gil Evans Orchestra


The Gil Evans Orchestra
Unter all den großartigen Arrangeuren des Jazz gab es einen einzigen Magier. Es blieb Gil Evans vorbehalten, die starre Big-Band-Besetzung (5-4-4) aufzulösen, zu verkleinern und gleichzeitig bisher nur in der Klassik verwendete Instrumente wie Horn, Fagott, Oboe oder Tuba in die orchestrale Jazzmusik zu integrieren. Und um alles, was seiner Feder entsprang, legte sich eine Aura, der sich niemand entziehen konte, am wenigsten Miles Davis. Der nicht wirklich zu dieser Welt gehörende, stets freundlich abwesend wirkede Gil Evans, der Hermeto Pascoal über alles verehrte, wandelte ­ immer kindlich staunend ­ durch verschiedene Epochen des Jazz, die er mit Liebe zum Detail, ausgeprägtem Sinn für orchestrale Farben und stilistischem Instinkt beseelte und erneuerte." (mathias rüegg)

Zugegeben, ¹s ist vielleicht etwas subjektiv, und auch auf die Gefahr hin, mir damit die lebenslange Verdamm nis durch Marcel Prawy einzuhandeln ­ aber ich behaupte einmal: Die wunderbarste Einspielung der Gershwin-Oper “Porgy & Bess" ist jene von Gil Evans mit Miles Davis (aufgenommen: Juli und August 1958).

Miles Evans, der sich aufgrund der engen Freundschaft und Verbundenheit seines großen Vaters mit dem (über-)großen Davis für den Rest seines Lebens mit der Bürde eines doch eher ­ wie sag ich¹s? ­ “überlebensgroßen" Vornamens herumschlagen muß, interessierte sich anfänglich weder für die Musik des einen Namensgebers noch für die Arbeit des anderen. Vielmehr enthusiasmierte Dreikäsehoch Miles (gemeint ist das Patenkind) das Faktum, daß sich Leute wie Ray Charles oder Stevie Wonder gar eigene Jets leisten konnten.

Miles, der Patenonkel, hatte bekanntermaßen ein rechtes Faible für flotte Autos, aber die herumbolzenden roten Ferraris überzeugten Miles, das Patenkind, nicht sonderlich ­ ein Gefühl des Abhebens mochten die rasant beschleunigenden Sportkarossen eventuell vermitteln, aber richtig fliegen wollten die Dinger nicht und nicht. Alle übrigen Versuche der Erziehungsberechtigten im Hause Evans, via die sonst bei Kindern übliche Autobegeisterung einen heißen Draht zwischen (Klein) Miles und (Groß) Miles zu installieren, waren letztlich von Mißerfolg gekrönt, war doch Vater Gil einer von jener Sorte, der sich richtiggehend zu freuen vermochte, wenn er die Seniorenermäßigung der New Yorker Subway in Anspruch nehmen konnte.

Wie das Schicksal aber so spielt, war das Evanssche Apartment damals so etwas wie ein Open House für Musiker (von wegen Schicksal: bei den “natürlichen", also Big-Band-lastigen Interessen eines Arrangeurs nicht wirklich ein Wunder), und Klein Evans freundet sich (wer weiß ­ vielleicht war der titanische Vorname doch weniger Last denn Initialzündung) mit Trompetern wie Hannibal Marvin Peterson, Jon Faddis und Lew Soloff an, die allesamt nicht ungern immer wieder in des bandleadernden Vaters Sold standen, und der Spund zieht für sich den lebensbestimmenden messerscharfen Schluß: “Wenn alle Typen, die Trompete spielen, so nett sind wie diese drei, dann will ich auch einer sein." Der nette Typ Soloff leiht dem 13jährigen sein Horn, und der beginnt zu üben.

1981 startet Miles Davis sein Comeback. Evans, der Teenager, ruft ihn an. Und Davis, der legendäre “Grantler" (oder doch “der traurigste Trompeter des Jazz"? ­ so einer der traurigsten Kritiker des Jazz), gibt ihm auch tatsächlich ein paar Stunden. Gil Evans arbeitet unterdessen in Europa; Davis kauft ein Flugticket für Miles (nein, nicht für sich!) und schickt den Junior Gil hinterher. Und so kam es, wie es bei einem entsprechenden Vornamen letztlich kommen mußte: Miles Evans saß plötzlich im Trompetensatz des Ensembles seines Vaters. Das war Mitte der achtziger Jahre, also in jener Zeit, in der Sting einige Jimi-Hendrix-Songs mit Gil Evans aufnahm.

1987 erkrankte der 75jährige. Sein Orchester spielte bereits seit Jahren jeden Montag im ständig überfüllten Sweet Basil Club. Als Gil ein Jahr später starb, sprach Miles mit dem Klubbesitzer ein ernstes Wort: Der möge doch die Musiker weiterarbeiten lassen. Was hätte der Klubbetreiber auch dagegen sagen können, hatte er damit eine Band zur Hand, bei der das Lokal jedesmal brechend voll war.

Miles Evans erwies sich rasch als durchaus kompetenter Bandleader ­ und das trotz seiner erst 24 Jahre. Mittlerweile besteht das Gil Evans Orchestra in dieser Form seit über einem Jahrzehnt und hat nichts an Qualität eingebüßt. Hochkarätig besetzt, beehren die “netten Typen" um Soloff und Co nun erstmals Wien ­ und wer weiß, vielleicht fällt denen das eine oder andere zu “Porgy & Bess" ein. But: It ain¹t necessarily so!



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