Ein Debut in der Klassik ist immer ein interessantes Ereignis, scheint das Feld doch von den kompositorischen Granden von Bach über Beethoven bis Bartok längst bestellt. Trotzdem gibt es immer wieder Wagemutige, die das Publikum mit dem Klangkörper einer Orchesters herauszufordern versuchen. Dazu gehört beispielsweise Nicolas Lens, aber auch der US-Amerikaner Daniel Temkin, dessen Debut-Album COLORS heute erschienen ist.
Colors ist ein Kammermusik-Album, und Farben bietet es in mehrfacher Weise. Zum einen ist da die Variabilität, mit der Temkin seine Stücke formuliert und akustisch gestaltet. Sie changieren von zart bis stark und präsentieren sich hierbei in vielfältiger Dynamik. Parallel variiert er die Zusammensetzung der Instrumente, so dass sich immer neue Zusammenstellungen und damit immer neue Farbpaletten ergeben. Was das in der gehörten Praxis bedeutet?
Dass die Harfe eine expandierte Lyra und damit ein lyrisches Instrument ist, bezeugt das dreiteilige Stück Moments für Soloharfe, das Colors eröffnet. Harfenistin Ashley Jackson präsentiert dabei den sanften, zartfloralfarbigen Teil der akustischen Welt, zumal in Teil drei mit dem namens In the Butterfly’s song, I hear your name.
Das elfminütige Corners of Light ist ein vielschichtiges Zwiegespräch zwischen einer teils bissigen, teils kuschelnden Klarinette an den Lippen von Stas Chernyshev und einem oft knackigen Piano, gespielt von Daniel Anastasio.
In Time Capsule for two violins umspielen sich Francisco Fullana und Alexi Kenney in sensibel intimer Weise, die den Geigen überraschend viel Wärme entlockt und den diskanten Biss der kleinen Viersaiter weit in den Hintergrund rückt, was nebenbei auch für die Güte der Aufnahme spricht, die generell mit einer ganz feinen Akustik verlockt.
Together.We. ist ein weiteres Instrumental-Gespräch, das dieses Mal zwischen Jacksons Harfe und einer Querflöte, gespielt von Emi Ferguson, oszilliert. Es ist, wie der Titel verspricht, ein Zusammen und ein Wir, das zeigt, wie zwei sehr unterschiedlichen Charaktere einander umspielend eine konstanten Einheit formulieren können.
Auch bei Flow ist der Titel Programm. Pianistin Qing Jiang, Violinistin Adriana Kim und Cellistin Christine Lamprea lassen die Noten strömen wie in einem Gebirgsbach, mal sanft plätschernd, mal wild reißend im ersten Teil Wash Over Me. Wash Me Over , während Tide Pull tatsächlich eher akustisch Zug ausübt und mit diffiziler Spannung die Aufmerksamkeit schürt.
Sind die meisten der Kompositioonen einem spezifischen Jahr zugeordnet, verhält es sich bei Unspoken anders. Auch wenn Colors ein Debut-Album ist, datiert der Anfang seines Schlusses auf das Jahr 2012. Wobei auch hier nicht ganz klar ist, welches der fünf Stücke von Unspoken gemeint ist oder ob die Zeitangabe 2012-2019 vielmehr bedeutet, dass es ein Work-in-progress-Komposition ist. In jedem Fall entlockt ihr Ayana Kozasa mit ihrer Viola eine weitere Farbpalette, dieses Mal allerdings in Pastell und Moll. Wobei als Sahnestück der Kontrast zwischen ihrer Variation von In the Butterfly’s song, I hear your name und der Fassung für Harfe als Teil III der eröffnenden Moments von 2021.
Das ist verwirrend? Es mag so sein, aber schön ist es ebenfalls. Und das sollte doch bei aller Intellektualität das wesentliche bleiben, wenn es um Genuss und Freude geht. Und um die Farben im Leben. Dass Temkin dabei das Genre Klassik um eine erfreulich angenehme Facette der Moderne ergänzt, ist hierbei nur zu begrüßen. (Thomas Semmler, HighResMac)
Ashley Jackson, Harfe
Stas Chernyshev, Klarinette
Daniel Anastasio, Klavier
Francisco Fullana, Violine
Alexi Kenney, Violine
Qing Jiang, Klavier
Ariana Kim, Violine
Christine Lamprea, Cello
Ayane Kozasa, Viola
Emi Ferguson, Flöte