Wer meint, der Albumtitel ziele auf Hörer, die das Album zur Begleitung kuschliger Stunden am Kaminfeuer abspielen, der liegt falsch. Richtig ist vielmehr, dass der Dirigent Stéphane Denève Stücke aus den Prokofiev Balletten „Romeo und Julia“ sowie „Cinderella“ nach dramaturgischen Gesichtspunkten zu Suiten zusammengestellt und für das vorliegende Album als „Romantische Suiten“ bezeichnet hat. Dadurch unterscheiden sich die Suiten einigermaßen deutlich von den vom Komponisten selbst verfertigten Suiten, denen laut Denève jegliche erzählerische Qualität abgeht, die ein gelungenes Handlungsballett nun einmal auszeichnet. Die Suiten des Komponisten seien nichts anderes als eine willkürliche Aneinanderreihung von Stücken der originalen Ballette bar jeglicher Dramaturgie. Dies ist keine allzu neue Erkenntnis, hat sie doch Dirigenten immer wieder veranlasst, ihre eigenen Zusammenstellungen von Stücken dieser Ballette im Konzertsaal zur Aufführung zu bringen. Neu ist allerdings, mit welcher Konsequenz Stéphane Denève die Stücke mit Blick auf eine nachvollziehbare Dramaturgie zusammengestellt hat. Dabei hat er biillgend in Kauf genommen, dass seine Romeo und Julia Suite mit nahezu 40 und seine Cinderella Suite mit immerhin um die 30 Minuten sinfonische Dimensionen aufweisen. Da Denève sich als geschickter Dramaturg erweist und da Prokofiev mit seinen beiden Balletten kompositorische Meisterstücke abgeliefert hat, die vor Farbigkeit und Vehemenz, kontrastiert von inniger Zärtlichkeit fern jeglichen Kitsches nahezu überborden, darf das Unternehmen „Romantic Suites“ als überaus geglückt bezeichnet werden.
Das Album empfiehlt sich jedoch nicht nur wegen der vom Dirigenten überzeugend zu einer stringenten Erzählung zusammengestellten Stücke der beiden Prokofiev Ballette, sondern auch wegen der eigenständigen Interpretation der „Romantic Suites“ und wegen der spieltechnischen Qualität der aus einem Radiosinfonieorchester hervorgegangenen Brüsseler Philharmoniker, die unter ihrem Chef Stéphane Denève binnen weniger Jahre zu einem europäischen Spitzenorchester gereift sind. Die duftig leichte Gangart zusammen mit gleißend hell, messerscharf realisierten Dynamikspitzen künden davon, dass beide, das Orchester und der Dirigent dem französischen Kulturraum angehören. Das französische Klangideal hatte Stéphane Denève vor der Übernahme der Brüsseler Philharmoniker im Jahr 2015 in seiner Position als Chef des Radio-Sinfonieorchesters Stuttgart erfolgreich ins östlich gelegene französische Nachbarland exportiert. Etliche Alben mit dem RSO Stuttgart unter Denève künden vom gelungenen Kulturexport, dessen hell durchleuchteter, vielfarbiger Orchesterklang seit den Zeiten eines Sergiu Celibidache in Stuttgart nicht mehr zu hören war, und den Stéphane Denève nach Brüssel mitgenommen hat, wo er von den frankophil orientierten Brüsseler Musikern offenbar gerne aufgegriffen wurde. Man darf gespannt sein, ob es dem französischen Dirigenten gelingen wird, seine Klangvorstellung auch in die USA zu exportieren, wo er demnächst seinen Posten als Chef des St Louis Symphony antreten wird.
Allen Freunden des russischen Komponisten Prokofiev, der sich mit seinen beiden Balletten „Romeo und Julia“ und „Cinderella“ als Klangmagier und Dynamikextremist erster Güte erweist, aber auch allen, an denen diese beiden Ballettmusiken bislang vorbeigegangen sind, ist das Album „Romantic Suites“ wärmstens zu empfehlen, nicht zuletzt auch wegen des opulenten Sounds des High Resolution Downloads.
Brussels Philharmonic
Stéphane Denève, Dirigent