Wenn es einen Komponisten des slawischen Sprachraums gab, dessen Kompositionen eine einzigartige Sprache sprechen, die mit der Musiksprache etwa seiner Landsleute Dvorak und Smetana so gut wie nichts gemeinsam hat, dann ist das Leoš Janáček. 1854 in Mähren geboren, und damit dreizehn Jahre jünger als Dvorak und 30 Jahre jünger als Smetana hat seine Musiksprache nichts gemein mit den böhmisch gefälligen Werken beiden älteren Komponisten. Von Blechbläsern erzeugte grell gleißende Orchester-Klangfarben künden bei Janáček, der wie seine komponierenden Landsleute gerne Anleihen bei der Volksmusik genommen hat, von einem ungezähmten Musikverständnis, das von starken Kontrasten und extrem schillernder Farbigkeit lebt. Harmloses Böhmeln findet nicht statt. Wer sich einen ersten Eindruck von der so speziellen Klangwelt eines Leoš Janáček verschaffen möchte, tut gut daran, als Einstieg seine Sinfonietta aus dem Jahr 1926 zu wählen. Dieses Orchesterstück, dessen Aufführung keine 25 Minuten dauert, erzählt in komprimierter Form von den enormen Kompositions- und Orchestrationskünsten Janáčeks, die in eine Harmonik ausmünden, die bei allem Bezug zur Folklore ins Moderne weisen. Hat man sich derart auf die Eigenheiten dieses Komponisten eingestellt, die bei allem Hang zur Moderne und mitunter enormen Lautstärke der Bläsersätze niemals wirklich verstörend wirken, spricht nichts dagegen, sein Janáček-Spektrum um Gesangswerke zu erweitern, etwa um seine Glagolitische Messe (Mša glagolskaja) für Solisten, Chor, Orgel und Orchester, die selbstredend mit Messekompositionen seiner westlichen Komponistenkollegen nichts gemeinsam haben. Ähnlich theatralisch gestimmt wie Verdi in seinem Requiem nähert sich Janáček mit seiner binnen eines Vierteljahrs vor dem ersten Weltkrieg entstandenen Glagolitischen dem Thema Messe, zu der meinte: „Ich will den Menschen zeigen, wie man mit dem lieben Gott zu reden hat.“ Heraus kam ein einzigartiges Chorwerk, das nicht nur wegen seiner kirchenslawischen Sprache mit einer Messe im landläufigen Sinne nichts zu tun hat. Janáček selbst bezeichnete sie als eine „fröhliche Messe“ und er trifft damit die Stimmung, die dieses Chorwerk bei aller Verbundenheit mit der tiefen Gläubigkeit slawischer Völker verbreitet auf den Punkt. Und wer mit Gläubigkeit nichts am Hut hat, erfreut sich allemal über die enorme Farbigkeit und sprühende Lebendigkeit dieser einzigartigen Komposition, die als zentrales Werk auf dem neuen Janáček-Albums der Tschechischen Philharmonie unter seinem erst kürzlich verstorbenen Chefdirigenten Jiri Belohlavek unter Mitwirkung des Männerchors der Philharmonie und einer Riege erstklassiger Solisten in interpretatorischer Bestform erschienen ist, von denen der Tenor Stuart Neill mit enormer Gestaltungskraft hervorsticht.
Auch die bereits erwähnte Sinfonietta findet sich auf diesem Album in einer farbkräftigen Wiedergabe durch die Tschechischen Philharmoniker, die weltweit zu den wenigen Orchestern zählen, an denen die klangliche Globalisierung, sprich die Vereinheitlichung der Spielweise vorbeigegangen ist. Ein wenig irritierend ist, dass Jiri Belohlavek die Eröffnungsfanfare der Sinfonietta, die anderweitig dem mitunter wilden Gestus eines Leoš Janáček gerecht wird, derart entspannt angeht. Der Wildheit der Ballade Taras Bulba, die wie die Sinfonietta in reinster Janáček-Manier abgefasst ist und den Zuhörer unmittelbar mitreißt, bleiben weder Dirigent noch Orchester etwas schuldig. Als selten zu hörende „Zugabe“ findet sich auf diesem Album die Tondichtung The Fiddler’s Child (Das Kind des Dorfmusikanten) für Solovioline und Orchester, die in dunklen Orchesterfarben eine grausige Geschichte in Art des Erlkönig-Gedichts erzählt.
Dieses Janáček-Album, das zum neunzigsten Todestag des Komponisten erschienen ist und posthum eindrücklich auf die dirigentische Gestaltungskraft Jiri Belohlaveks verweist, empfiehlt sich nicht zuletzt wegen der gelungenen Aufnahmetechnik des Labels Decca, die die herrliche Akustik des Rudolfinums angemessen einfängt, in dem Supraphon über Jahrzehnte hinweg, beginnend im Mono-Zeitalter den so eigenständigen Sound der Tschechischen Philharmoniker dokumentiert hat.
Hibla Gerzmava, Sopran
Veronika Hajnová, Mezzosopran
Stuart Neill, Tenor
Jan Martiník, Bass
Czech Philharmonic
Jiří Bělohlávek, Dirigent