Aufnahmen mit dem französischen Orchester Les Siècles unter Ihrem Gründungsdirigenten François-Xavier Roth zeichnen sich durch ihre nicht selten maßstabsetzende, zumindest aber stets frische Sicht auf Werke des Klassikrepertoires aus. Ein nicht unwesentlicher Anteil des Reizes, aber auch des Erfolgs der zwischenzeitlich zahlreich erschienen Alben geht zurück auf das jeweils sorgfältig mit Instrumenten der Entstehungszeit und in Originalbesetzung aufspielende Orchester. Dieser Ansatz alleine macht Nuancen hörbar, die in Interpretationen aktuell groß besetzter Orchester untergehen. Das Repertoire der Alben, das Les Siècles über eine Spanne von nahezu 20 Jahren eingespielt haben, um fasst Werke des 18. bis 20. Jahrhunderts mit einem Schwerpunkt auf dem 19. Jahrhundert. Furore machten in den letzten Jahren unter anderem Alben mit Beethovens fünfter Sinfonie, gekoppelt mit Gossecs "Symphonie à 17 parties", mit der „Symphony Fantastique“ von Berlioz und mit der Titan-Sinfonie von Mahler. Aber auch ältere Alben können sich mit dem Lorbeer schmücken, außergewöhnliche Interpretationen und Klangerlebnisse zu enthalten. Zu nennen ist hier etwa Strawinskys „Le sacre du printemps“ in der wiederhergestellten Fassung vom 29. Mai 1913. In diesen Zeitraum fällt auch das Saint-Saëns Album mit der Orgelsymphonie und dem Klavierkonzert Nr. 4, das soeben in remasterter Version erschienen ist. Und von dem hier die Rede sein soll.
Die Aufführung der dritten Symphonie, der Orgelsymphonie fand in der Pariser Kirche Saint-Sulpice statt, die mit einer Cavaillé-Coll-Orgel aus dem Jahr 1862 ausgerüstet ist. Seit 1985 hat der Organist des Albums, Daniel Roth, Vater von François-Xavier Roth, dort das Amt des Titelorganisten inne. Es sprach also einiges dafür, diese Kirche als Aufnahmeort für die Orgelsymphonie zu wählen. Dafür wurde der Nachteil in Kauf genommen, dass die Akustik der Kirche sehr hallig ist, was in schnelleren Passagen der Symphonie nicht unbedingt vorteilhaft. Dazu kommt, dass die Cavaillé-Coll-Orgel ein wahrliches Biest ist, das ohne Weiteres selbst ein der Romantik entsprechend groß besetztes Orchester über den Haufen rennen kann. Dass das nicht so oft vorkommt, ist dem Können des Organisten zu verdanken. Der mitunter problematische Hall der Kirche wird kompensiert durch die enorme Spannung dieser Aufführung, die als Live-Mitschnitt vorliegt.
Dank der historischen Instrumente erstrahlt die Orgelsymphonie in ungewohnte leichtem und eher scharfen Klang, der überaus erfrischend ist. Der ersten Satz nehmen Dirigent und Orchester in lebhafter Gangart und die Orgel sorgt für eine geradezu mystischen Untermalung des Orchesterklangs. Aufgrund der schlanken historischen Orchesterbesetzung erlebt man hier den langsamen zweiten Satz weniger üppig wie heutzutage gewohnt von modern besetzten Orchestern. Dafür sorgt der hier filigrane Sound von Les Siècles für eine eher geheimnisvolle Stimmung und ungewohnte Einsichten in die Partitur. Diese Stimmungslage bleibt auch im energisch auftrumpfenden Scherzo erhalten. Erst im von der Orgel dominierten gewaltigen Finale schlägt das vorausgehend Geheimnisvolle gleich zu Beginn mit drei großen Orgelakkorden in schieres Donnern um, dem Saint-Saëns als herben Kontrast zarte Orchesterpassagen gegenüberstellt. Diese Aufnahme der Orgelsymphonie stellt eine interessante Alternative zu gelungenen Aufnahmen mit modern besetztem Orchester dar, da es ihr überzeugend gelingt, dieses Werk in neuem Licht zum Leuchten zu bringen.
Das Klavierkonzert wurde mit dem Pianisten Jean-François Heisser nicht in der Kirche, sondern in einem Pariser Konzertsaal live aufgezeichnet. Das Orchester klingt hier deutlich durchsichtiger und farbiger als in der Aufnahme der Orgelsymphonie, da es nicht gegen starken Hall anzukämpfen braucht. Jean-François Heisser spielt auf einem Erard-Instrument von 1874, das leider alles andere als kernig und an den heutigen modernen Klavierklang Gewöhnte geradezu fahl und wenig aufregend klingt. Allerdings ist die Wahl eines historischen Klaviers dem Ansatz dieses Orchesters angemessen, einer Originalaufführung klanglich möglichst nahezukommen, zumal das Erard-Instrument gerade einmal ein Jahr vor dem vierten Saint-Saëns Klavierkonzert gebaut worden ist. Die spielerische Kompetenz des französischen Pianisten kompensiert bis zu einem gewissen Punkt die mangelnde Klangpracht des Erard.
Dieses neu aufgelegte Saint-Saëns Album macht Les Siècles unter seinem Dirigenten François-Xavier Roth alle Ehre.
Daniel Roth, Orgel
Jean-François Heisser, Klavier
Les Siècles
François-Xavier Roth, Leitung