Warum nennt Matt Ridley sein neuestes Album Antidote, auf Deutsch „Gegengift“? Eine Erklärung gab der Klassik- und Jazz-Bassist, der sich auch als Komponist einen Namen gemacht hat, in einem Interview, das dem Jazzwise Magazine kürzlich gegeben hat: "Der Grund, warum ich es 'The Antidote' nannte, war zum Teil, dass ich den Jazz-Skeptikern das Gegenteil beweisen wollte. Die Leute, die sagen: ‚Jazz ist zwar sehr kompetent, aber wo ist die Melodie?‘ Der meiste historische Jazz hat erstaunliche Melodien, aber im zeitgenössischen Jazz gibt es viele Melodien, die vielleicht kantig und nicht singbar sind. Ich kratze mich auch am Kopf über diese Art von Melodien. Ich möchte mich von der Melodie des Stücks, das ich spiele, inspirieren lassen und nicht nur von der Frage, ob es ein gutes Vehikel zum Improvisieren ist.“ Mit anderen Worten versteht Matt Ridley sein neues Album als Antwort auf die Frage nach der Bedeutung der Melodie für den zeitgenössischen Jazz. Der kann eben auch sehr melodisch sein, wenn der betreffende Komponist dafür einsteht.
The Antidote erscheint als Matt Ridleys drittes Album, das im Herbst 2019, also noch vor dem Lockdown aufgenommen wurde und das auf seine beiden Veröffentlichungen für Whirlwind Recordings, Thymos (2013) und Metta (2016) folgt, die von orientalischer Musik, folkigem Kammerjazz und anderen lateinamerikanischen Einflüssen beeinflusst sind. Matt Ridley war vor der Pandemiekrise ein gefragter Sideman am Bass, hat sich aber auch in aller Stille als Komponist und Leader etabliert.
Für sein erstes Album bei Ubuntu präsentiert Matt Ridley sein aktuelles Quintett, das Musiker zusammenbringt, die sämtliche in der Londoner Jazzszene aktiv und stark gefragt sind. Als Bandleader und Kontrabassist musiziert er zusammen mit Ant Law an der Gitarre, dem Saxophonisten Alex Hitchcock, dem Pianisten Tom Hewson und dem Schlagzeuger Marc Michel. Sowohl Hitchcock als auch Hewson sind selbst Bandleader, die sich mit eigenen Aufnahmen in der Jazzszene einen Namen gemacht haben.
The Antidote ist ein Jazzrock-Album, allerdings keines in der Tradition der 1970er Jahre, das sich auf Riffs und Licks konzentriert. Manchmal erinnert es an zeitgenössische ECM-Aufnahmen von Terje Rypdal und Miroslav Vitouš, indem es ebenfalls eine sehr hörenswerte Verschmelzung von elektrischen Instrumenten und eleganter Komposition bietet. Über die Musik auf The Antidote sagt Matt Ridley: "Dieses Album ist mein bescheidener Versuch, Musik zu schaffen, die die Unterschiede zwischen uns allen versöhnt. Anstatt ein 'Jazz-Album' zu kreieren, war es immer meine Absicht, Aspekte all der Musik und Kultur zusammenzubringen, die ich in meiner Zeit auf dem Planeten Erde erlebt habe, und gleichzeitig die Jazz-Tradition zu respektieren und zu ehren."
Die erste Hälfte des Albums besteht aus vier eigenständigen Kompositionen, die den fünf Musikern viel Raum zur Entfaltung und zur Improvisation geben, darunter Yardeville mit dem Matt Ridley bereits bei vielen Gelegenheiten aufgetreten ist. Nach einer nachdenklichen Version von „Infant Eyes“ von Wayne Shorter, der einzigen Komposition, die nicht von Ridley stammt, ist die zweite Hälfte des Albums eine dreiundzwanzigminütige Suite in vier Teilen, von denen ein Teil die Netflix-Serie Stranger Things zitiert, die vielleicht mit Ridleys Musik das Gefühl des drohenden Untergangs unter einer trügerisch ruhigen Oberfläche teilt.
Das Zusammenspiel der Musiker des Quintetts auf The Antidote ist durchweg erstklassig und die auf diesem Album versammelten Kompositionen erfüllen den Bedarf an zeitgenössischer Jazzmusik, die sich aktiv mit den Themen unserer Zeit auseinandersetzt und darüber hinaus gibt das Album eine entschieden positive Antwort auf die Frage nach der Bedeutung der Melodie für den zeitgenössischen Jazz.
Matt Ridley, Kontrabass
Alex Hitchcock, Saxofon
Ant Law, Gitarre
Tom Hewson, Klavier
Marc Michel, Schlagzeug