Mit Norwegen verbinden wir südlich lebenden Europäer in erster Linie gerne landschaftliche Weite, tief ins Land geschnittene Fjorde und mittsommerliche Feierlichkeit. Dass sich im nördlichen Königreich eine ausgiebige Jazzszene etabliert hat, die im ganzen Land ganzjährig aktiv ist und international erfolgreiche Musiker hervorgebracht hat, wie etwa Jan Gabarek und Terje Rypdal ist nicht nur europäischen Jazzfans geläufig. Für die nordische Spielart des Jazz verantwortlich zeichnen nicht zuletzt Sidsel Endresen, Eivind Aarset, Nils Petter Molvær und Bugge Wesseltoft, der soeben das Solopiano-Album „Everybody Loves Angels“ herausgebracht hat. Mit Petter Molvær gründete Bugge Wesseltoft in der 80ern ein Jazz-Quartett, das nicht zuletzt mit den seinerzeit als ungewöhnlich futuristisch empfundenen elektronischen Effekten Aufmerksamkeit erregte, die Bugge Wesseltoft seinem Atari ST entlockte. Die recht wilden, zum Teil geradezu unzivilisierten Kompositionen für das Quartett waren der Auslöser für die New Conception of Jazz, die live eingesetzte Elektronikeffekte mit herkömmlichem Jazz verschmilzt, und ganze Generationen von Jazzmusikern mit neuer Munition versorgten. Neben dieser Art im Ensemble verwirklichtem Jazz blieb Bugge Wesseltoft stets dem rein akustischen Klavierspiel treu, wie jetzt auf „Everybody Loves Angels“ und 1997 auf dem sehr erfolgreichen Album "It's Snowing On My Piano“, das als schönste Weihnachts-CD in die Geschichte des neueren Jazz eingegangen ist.
Als akustischen Rahmen har sich Wesseltoft eine historische norwegische Holzkirche erkoren, die dem Solopiano-Projekt eine ganz spezielle Aura konzentrierter Ruhe verleiht, die anderweitig nur in den weiten Wäldern Norwegens anzutreffen ist, und die den Pianisten bei seinen Improvisationen über klassische Kompositionen und Pop-Blockbuster offenbar zu spontanen Einfällen motiviert hat, die der Pianist in der für ihn charakteristischen Reduktion aufs Wesentliche unter zurückhaltend beigesteuertem Zierwerk meisterlich realisiert abliefert.
Kein Geringerer als Johann Sebastian Bach ist Bugge Wesseltoft Vorbild bei seinen Improvisationen in „Koral“. Diesen Giganten der Klassik konfrontiert Wesseltoft mit den Pop-Größen Bob Dylan mit "Blowin' In The Wind", Simon & Garfunkel mit "Bridge Over Troubled Water", Cat Stevens mit "Morning Has Broken", und den Rolling Stones mit "Angie". Seine Sicht dieser einstmaligen Hits geht dank der Improvisationskunst des norwegischen Pianisten weit über das anderweitig übliche Covern hinaus bis an die Grenze zur Neukomposition und über diese hinaus. Die Schöpfer der heutzutage schier abgenudelten Vorlagen – Bach bleibt hier natürlich außen vor – hätten ihre Freude – was auch für Bach gilt – an den Neuschöpfungen des Bugge Wesseltoft.
Das Label ACT hat mit dem Aufnahmeingenieur Asle Karstad und mit dem für die Abmischung verantwortlichen Ulf Holand unter der Aufsicht des Produzenten Siggi Loch die optimalen Partner gefunden, um die spezielle Atmosphäre der norwegischen Holzkirche einzufangen, die Bugge Wesseltoft zum Höhenflug seiner Improvisationskunst inspiriert hat.
Bugge Wesseltoft, Klavier