Wenn Musiker aus der Welt der E-Musik auf U-Musik zugreifen, besteht die Gefahr, dass es peinlich wird. Das war schon immer so und das trifft auf Operntenöre, die zum Beispiel Schlager der dreißiger Jahre für sich entdecken, ebenso zu wie auf klassische Pianisten, die meinen, die Sprache des Jazz zu beherrschen, Friedrich Gulda ausgenommen. Die Krux ist, dass klassisch ausgebildete Musiker krampfhaft versuchen, Ihre spezielle Musiksprache zu verleugnen, wenn es darum geht, sich in der U-Musik auszudrücken. Besonders peinlich berührt das, wenn Operntenöre versuchen, Ihre große, raumfüllende Stimme etwa für Pop-Songs kleiner zu machen. Was dabei auf der Strecke bleibt, ist die Glaubwürdigkeit der künstlerischen Veranstaltung. Leider funktioniert die Sache bei Tenören auch dann nicht, wenn sie ihren großen für Opern angemessenen stimmlichen Auftritt auf Pop-Songs übertragen. Einen glaubwürdigen Ansatz hat das Dänische Streichquartett gefunden. Diese vier Musiker lassen sich Ihren an der Klassik geschulten und in Konzertsälen kultivierten Quartettsound nicht nehmen, wenn sie sich dem Jazz oder wie im Falle ihres neuesten Albums Last Leaf Folk dem Thema Folk Songs widmen. Was auch immer dieses Quartett jenseits der Klassik ins Repertoire aufnimmt, wie im Falle ihres neuen Albums skandinavische Folk Songs, stets ist die Glaubwürdigkeit ihres Tuns gewährleistet. Da wirkt nichts aufgesetzt oder gekünstelt. Jederzeit vermitteln die Dänen dem Hörer den Eindruck der Stimmigkeit, was nicht zuletzt an den durchweg ganz hervorragenden Arrangements der Songs liegt.
Last Leaf ist ein Album, das mit seinen Songs eine enorme Ruhe ausstrahlt. Diese hat nahezu durchgehend einen gemäßigten Lautstärkepegel zur Folge, der es weniger empfehlenswert macht, das Album während einer Autofahrt zu genießen, es sei denn, man fährt einen Tesla mit super leisem Elektromotor. Dann hört man auch den zarten Klang des Glockenspiels, mit dem die die vier Quartettmusiker neben ihren Streichinstrumenten Farbtupfer ins klangliche Geschehen setzen. Erweitert wird der typische Streichquartettsound ferner durch den Einsatz eines Harmoniums und eines Klaviers, für die der Primarius Rune Tonsgaard Sørensen neben dem Schlagen des Glockenspiels zuständig ist. Seine drei Kollegen Frederik Øland (Violine), Asbjørn Nørgaard (Bratsche) und Fredrik Schøyen Sjölin (Cello) konzentrieren sich auf dem Album Last Leaf auf das Spiel ihre Streichinstrumente.
Was das Dänische Streichquartett an Stimmung aus den größtenteils historischen Folksong-Vorlagen zaubert ist schlicht umwerfend. Neben original naiv Tönendem gibt es überraschend aufscheinend musikalisch raffiniert Ausgetüfteltes zu bewundern. Das berührt und macht neugierig auf den folgenden Song. Ungeachtet der zumeist ruhig ablaufenden, leisen Songs baut sich so eine Spannung auf, die den Hörer gefangen nimmt und nach dem Abspielen des Albums nach sofortiger Wiederholung verlangt.
Last Leaf ist der höchst faszinierende, geglückte Versuch, nordische Folklore überaus glaubwürdig in die Klangwelt der Klassik zu übertragen. Dieses Album ist ein wahrhaftiges Must Have, zumal ECM wieder einmal den würdigen Sound für dieses außergewöhnliche musikalische Ereignis abliefert.
Danish String Quartet