Modest Mussorgski wurde durch den Besuch einer Ausstellung von Bildern eines verstorbenen Freunds zum Klavierzyklus Bilder einer Ausstellung inspiriert. Bis heute gehört dieser Klavierzyklus, in zahlreichen aufgemotzten Klavierversionen und in nicht viel weniger zahlreichen orchestralen Gestalten, nicht zuletzt aber auch dank der 1971 live aufgenommene Rockversion von Emerson, Lake and Palmer zu den am häufigsten im Konzertbetrieb aufgeführten und auf Tonträger gebannten Musikstücke der Klassik. Auch Glauco Veniers Klavierzyklus Miniatures verdanken ihre Existenz der Freundschaft zu einem Maler. Im Rahmen eines Dokumentarfilms über den Maler und Bildhauer Giorgio Celiberti wurde Venier in dessen Atelier eingeladen, um live über dort aufgehänge Bilder zu improvisieren. Von dem auf Film gebannten Atelierkonzert, das in Reaktion auf an Schnüren aufgehängten Metallkreuzen von glockenähnlichen Klängen geprägt ist, wurde ECMs Manfred Eicher angeregt, Glauco Venier zu einem Aufnahmeprojekt einzuladen, das jetzt als Solodebut dieses ganz besonderen Musikers auf dem Label ECM nachhörbar ist.
Glauco Venier kommt aus dem Klassiklager. “Meine Annäherung an die Musik erfolgte über die Orgel in unserer lokalen Kirche. Ich verliebte mich in diesen Klang und die Komponisten von Orgelmusik... ich habe gute Erinnerungen daran, wie ich in dunklen, kalten Wintern auf der Orgel in der Kirche spielte." Nach dem Orgelstudium am Konservatorium in Udine, entdeckte Glauco Vernier für sich die Musikwelt der italienischen Renaissance und des Barock. Dann arbeitete er sich vorwärts durch die Jahrhunderte der Musikgeschichte bis zur Orgelmusik der Gegenwart, bis zu Olivier Messiaen. Eines schönen Tages tauchte dann am Horizont Jazz auf, für den Glauco Vernier sein Leben als Kirchenmusiker aufgab. Eine wahrlich ungewöhnliche Entwicklung für einen Musiker, dem ein Leben mit der Klassik quasi in die Wiege gelegt zu sein schien.
Und ungewöhnlich ist denn auch seine Sicht auf den Jazz, wie man auf dem ECM-Album hören kann. Ob solo am Klavier oder Gong, Glocken und abgestimmte Metallobjekte schlagend erzählt Glauco Vernier in seinen Miniaturen einmal atmosphärisch dicht, ein andermal ruhig dahinströmend von einer fantastischen, leicht jenseitigen Welt, in der die Bilder und Skulpturen seines Malerfreunds Giorgio Celiberti , aber auch ein nicht genanntes Gemälde Tizians in Tiziano’s Painting impressionistisch transzendiert ebenso Platz finden wie die Orgelmusik von Komponisten zurückliegender Jahrhunderte.
Gleich mit dem sanft klingend daherkommenden ersten Titel Ritual betritt der Hörer die fantastische Klangwelt des Glauco Venier, die sich eventuell erst beim zweiten Betreten öffnet, zu ungewohnt ist das Gebotene, beginnend mit sanft zum Klingen gebrachten Metallobjekten, bevor Klavierakkorde den Glockensound übernimmt. Tiziano’s Painting setzt die Klangreise ähnlich gestimmt und realisiert fort. Dann übernimmt das Klavier in Madiba die Rolle des Reiseführers bis kurz vor Ende des Titels Metallsound erneut deutlich macht, wo wir uns befinden. Im Frage- und Antwortspiel verraten Klavier und Glocken in Visible Spirit und Deep And Far einige Geheimnisse der seltsam faszinierenden Claudio Venier Welt, bevor sich zu guter letzt in Abstarctio neue Geheimnisse in den Weg stellen die ausschließlich von Glocken und Gongs erzählt werden, ohne zur Auflösung der Geheimnisse beizutragen.
Wer es versteht, sich vorurteilsfrei auf Ungewöhnliches und Ungewohntes einzustellen kommt mit Miniatures voll auf seine Kosten. Starke Empfehlung für alle Abenteuerlustige. In altbekannter Weise sorgen die Klangmagier von ECM dafür, dass der Abenteuerreisende diesen hochaufgelösten Download von Anfang bis Ende durchschreiten kann.Glauco Venier, Klavier, Gongs, Bells