Jean-Michel Blaise darf als Spätberufener in Sachen Musik gelten, entschloss er sich doch erst mit 25 Jahren professioneller Musiker zu werden. Als Sechzehnjähriger verschrieb er sich zunächst dem Klavierstudium an einem Konservatorium Kanadas, das er jedoch nach nur zwei Jahren abbrach als er feststellte, dass als er feststellte, dass er für die akademische Welt nicht gemacht ist. Es folgten einige Jahre Auslandsaufenthalt ohne ernsthaften Bezug zur Musik bis er zurück in Montreal als Mittzwanziger seine Liebe zur Musik als Autodidakt komponierend in professionelle Bahnen lenkte. Die Kompositionen von Jean-Michel Blaise sind geprägt von Einflüssen aus Klassik, Jazz und experimenteller Musik. Klangliche Vielfalt und feine Emotion kennzeichnen seine Werke, die sich streckenweise spontan und improvisiert geben und vor allem den musikalischen Impressionismus und den Minimalismus à la Eric Satie und Philip Glass als Vorbilder haben. Minimalismus und der Verzicht auf Overdubs beherrschen seine Alben, von denen das von der Kritik hochgelobte, 2016 erschienene Debutalbum II vollständig in seiner Montrealer Wohnung aufgenommen wurde. Ein Jahr später folgte das Album Cascades, auf dem zusätzlich zum Piano Synthesizer und elektronische Klangelemente einsetzt werden, um die zum Teil an John Cage erinnernde minimalistischen Kompositionen farbiger zu gestalten. Es folgte das Album Dans ma main, auf dem klassische mit elektronischer Musik kombiniert ist und aktuell das Album audbades, das ebenso wie die Vorgängeralben auf dem Label Arts & Crafts erschienen ist.
Wie seine Vorgänger ist aubades ein Konzeptalbum, dessen Ausrichtung sich im Titel des Albums spiegelt. Aubades bezieht sich auf eine mittelalterliche Serenade über Liebende, die sich bei Tagesanbruch trennen. Dem entsprechend lebt die Musik auf dem Album in bittersüßem Abschied, mit dem Schmerz und der Hoffnung auf neue Tage, der Aufregung und den Ängsten der Ungewissheit. Auf aubades kommen die vielfältigen Einflüsse früherer Komponisten auf Jean-Michel zum Ausdruck. Für dieses Album arbeitete er mit Alex Weston, einem ehemaligen Assistenten von Philip Glass zusammen. Die spezielle Qualität des Albums rührt daher, dass er sich von den musikalischen Texturen der Renaissance und des Mittelalters, aber von der Kunstethik des Designers, Dichters und Aktivisten William Morris inspirieren ließ. Die Stücke auf aubades sind für ein 12-köpfiges Ensemble arrangiert hat, dessen Instrumente derart hautnah aufgenommen sind, dass ihre Klangfarben ausdrucksstark und resonant zur Geltung kommen, wobei mit der Klangerzeugung einhergehende Nebengeräusche ebenso wenig ausgeblendet worden sind wie leise Gesprächsfragmente, was i8nsgesamt den Eindruck beim Hörer hervorruft, live mit dabei zu sein.
Das Eröffnungsstück "murmures" ist eine deutliche Hommage an Philip Glass. Sanfte, wehmütig erklingender Streicher und Holzbläser folgen auf einleitende Arpeggio-Passagen des Pianos und verweben sich unter schwankenden Rhythmen zu hypnotisch wirkenden Melodien. In "passepied" erzeugen spielerisch hüpfende Streicher und Holzbläsern übermütigem Schwung bis das Piano übernimmt und den Taumel in ruhigere Gefilde überführt bis schließlich überschäumende Lebensfreude, entfacht vom gesamten Ensemble zurückkehrt. Maximalen Minimalismus auf Grundlage irrsinnig schneller Rhythmen erfährt der verblüffte Zuhörer in „yanni“, während "if you build it, they will come" ihn mit elegant flirrend gezupften Streichern in ruhigere Sphären mitnimmt. Erneut lebhaft geht es im sinfonisch daherkommenden "ouessant" zu und dem abschließenden "doux" ist die Botschaft zu entnehmen, dass Hoffnung auch in kummervollen Zeiten das Leben lebenswert macht.
Das postklassiche Album aubades berührt die Seele mit seinen ungewöhnlichen, mittelalterlich eingefärbten, vom Minimalismus geprägten Klangerfindungen, die lange nachwirken und Trost in eher schwierigen Lebenslagen spenden.
Jean-Michel Blais, Klavier