Wenn vom Saxophonisten Joshua Redman die Rede ist, kommt man an seinem Vater Deway Redman, Saxophonist in einem früheren Jazz-Zeitalter, nicht vorbei. Allerdings ist nicht von einer der Varianten der beliebten Vater-Sohn-Geschichten zu berichten. Zu berichten ist zunächst vielmehr vorrangig von Ornette Coleman, einer unbestritten überlebensgroßen Saxophon-Jazzlegende, mit der Redman Vater noch musiziert hatte, und dessen musikalischer Geist die Band Old and New Dreams fest im Griff hatte, deren Gründer Deway Redmann war. Diese Band, besetzt mit so prominenten Musikern wie Don Cherrys, Kornett, Charly Haden am Bass und Ed Blackwell am Schlagzeug, neben Deway Redman, Saxophon war bis in die achtziger Jahre aktiv und sie verstand sich gewissermaßen in direkter Nachfolge von Coleman’s Band der sechziger und siebziger Jahre, deren Jazz-Klangwelt auch diejenige von Old and New Dreams war.
Wie die Geschichte weitergeht? Nun, der junge Redman sieht sein Album Still Dreaming ziemlich sicher als Reminiszenz an seinen vor drei Jahre verstorbenen Vater. Albumname und Name der Band seins Vaters New and Old Dreams sind sich wirklich zu ähnlich. Um einen anderen Schluss zuzulassen. Nur, wenn Joshua Redman „träumt“, so träumt er auf Still Dreaming zumindest nicht unmittelbar nicht von dem Jazz Stil des Vaters. Vielmehr hat er die musikalischen Vorstellungen seines Vaters und primär diejenigen seiner Übervaters Ornette Coleman längst in seine Art des Jazz transzendiert, so dass man nur an einigen Stellen noch den Atem der Älteren unmittelbar wahrnimmt. Er verfolgt also eigene Träume und wird dabei kongenial unterstützt von den drei Partnern seins Post-Bop-Quartetts, als da sind Ron Miles, Kornett, Scott Colley am Bass und Brian Blade am Schlagzeug. Auch diese drei Musiker verbindet eine direkte Beziehung zur Band von Deway Redman und damit indirekt zu Ornette Coleman: Bevor Don Cherry seine individuelle Spielweise gefunden hatte, tönte er ähnlich wie Don Cherry. Scott Colley erwarb sich seine Kenntnisse unmittelbar von Charlie Haden und Ed Blackman hat durch seine Herkunft aus Louisiana eine Schnittmenge gemeinsam mit Ed Blackwell.
Sechs der acht Titel auf Still Dreaming stammen von den Bandmitgliedern, während zwei weitere auf Haden (Playing) und Coleman (Comme Il Faut) und zurückgehen. Während Playing nicht gar so wild auftrumpft wie die originale Studioversion, erfährt Come Il Faut eine völlig eigenständige, hoch konzentrierte Wiedergabe durch Joshua Redman und seine Mannen. Mit dem ersten Titel New Year aus der Feder von Scott Colley beschleunigt das Quartett den Zuhörer in bester Bop-Manier aus dem Stand heraus von null auf hundert und lässt bis zum Beginn des nachfolgenden im besten Folk-Stil von Redman dargebotenen Unanimity nicht locker. Auf der sanften Wellenbewegung des Basses surft das Saxophon in Haze and Aspirations sowohl walzerseelig als auch soulig entspannt dahin. It’s Not the Same wird vom Schlagzeug mächtig unter Druck gesetzt. Blues for Charly entpuppt sich als vom Saxophon angestimmter und über eine längere Zeitspanne mit verschliffenem Ton ausdrucksvoll gesungener langsamer Blues. Der letzte Titel auf Still Dreaming verklingt in der Tat wie ein Traum am frühen Morgen in eine Art eines lyrischen Abgesangs.
Still Dreaming hinterlässt bereits nach dem ersten Hören den Eindruck eines schlüssigen Konzepts, heutigen Jazz in höchster Qualität neu zu denken. Das Album ist deshalb rundum empfehlenswert.
Joshua Redman, Saxophon
Ron Miles, Trompete
Scott Colley, Bass
Brian Blade, Schlagzeug