Piazzolla und der argentinische Tango in Gestalt des Tango Nuevo gehören unverbrüchlich zueinander. Für uns Heutige ist der Tango ohne Piazzolla schier undenkbar. Dass Piazzolla , nachdem er in den vierziger Jahren bereits sein eigenes Tangoorchester gegründet und erfolgreich betrieben hatte, in den fünfziger Jahren sich auf den Weg machte, ein klassischer Komponist zu werden, ist weniger bekannt. Dass er diesen Weg recht erfolgreich beschritt geht daraus hervor, dass er eine Reihe von Kompositionspreisen einheimsen konnte, von denen der Fabián-Sevitzky-Preis für seine Sinfonía Buenos Aires op. 15 ein Stipendium der französischen Regierung nach sich zog, das Piazzolla mit der berühmten Musikpädagogin Nadia Boulanger zusammenbrachte, die ihn ermunterte, sich unbedingt wieder dem Tango zuzuwenden. Der Rest ist Geschichte.
Seine klassische Ausbildung ist unter anderem in den Stücken auf dem aktuellen Album A Piazzolla Trilogy der klassischen Geigerin Karen Gomyo verkörpert, in Stücken, die den Tango mit großem Geschick in die Welt der klassischen Musik einbindet. Keines der Piazzolla-Stücke auf dem Album wird in originaler Gestalt vorgestellt, da die Solo-Partie die Stücke ursprünglich jeweils für Flöte konzipiert sind und nicht für Violine, was ihrer Wirkung jedoch keinen Abbruch tut. Vor Karen Gomyo haben bereits andere Geiger der Klassikszene, wie etwa Gidon Kremer erfolgreich Arrangements von Piazzollas Kompositionen auf die Konzertbühne gebracht. Dass Piazzollas Tango-Kompositionen und an den Tango angelehnte Kompositionen auch auf der Geige ihre volle, rhythmisch überzeugende Wirkung entfalten können und nicht wie ein befremdlich wirkender Abklatsch der Originalkompositionen wirken, verdanken sie der Kunst der jeweiligen Geiger und Geigerinnen, zu denen offensichtlich auch die in Japan geborene Geigerin Karen Gomyo gehört, die bereits seit längerem Piazzolla verehrt und seine Werke überaus erfolgreich auf dem Konzertpodium aufführt.
Das für Violine mit Orchesterbegleitung präsentierte „Cuatro Estaciones Porteñas“ (Vier Jahreszeiten von Buenos Aires) basiert auf einem Arrangement von Leonid Desyatnikov, die man auch als Fantasie über Musik von Piazzolla und Vivaldi bezeichnen kann, dessen Vier Jahreszeiten Desyatnikov geschickt in Piazzolla Kompositionen eingearbeitet hat. Karen Gomyo, die sich nicht scheut, eigene Improvisationen einzubringen und zur Unterstreichung des Tango-Rhythmus auch grelle Geigentöne zu erzeugen, glänzt zusammen mit dem Orchestre National des Pays de la Loire mit einer lebendigen, brillanten Aufführung des Arrangements von Leonid Desyatnikov.
Aufgenommen wurden die „ Cuatro Estaciones Porteñas“ in der Kongresshalle der französischen Stadt Nantes, während „Histoire du Tango“ sowie die „Tango-Études“ in der Kulturkirche Nikodemus, Berlin aufgenommen wurden, die insbesondere für die Besetzung Violine und Gitarre der „Études“ mit ihrem größeren, jedoch nicht zu großen Nachhall die passende Atmosphäre beiträgt. Stephanie Jones erweist sich als kompetente Gitarrensolistin, die dem Tango-Idiom nichts schuldig bleibt. Die 1987 entstandenen „Tango-Études“ (1987) greifen auf klassische Einflüsse zurück und erinnern an die Partiten von J.S. Bach, die in den speziellen Klangfarben und Rhythmen des Tangos südliche Lebensfreude ausstrahlen. Die „Histoire du Tango“ (1986) führt uns aus dem Blickwinkel von Astor Piazzolla kurzweilig durch die Geschichte des Tangos.
A Piazzolla Trilogy gelingt es dank erstklassiger ausführender Künstler scheinbar spielend, die Welt des Tango Nuevo in die Welt der Klassik zu integrieren, die Astor Piazzolla, der sich ernsthaft mit Klassik befasst hatte, zweite Heimat ist. Sehr empfehlenswert.
Karen Gomyo, Violine, Leitung
Stephanie Jones, Gitarre
Orchestre National des Pays de la Loire