Schubert [arr. Mahler]: Death and the Maiden / Shostakovich [orch. Barshai]: Chamber Symphony in C Minor
Wie ein Blitz aus heiterem Himmel fahren die abstürzenden Triolen der ersten zehn Takte des ursprünglich als Quartett komponierten Totentanzes in d-Moll aus den Lautsprechern. Wie in Beethovens Schicksalsinfonie beherrscht dieses Thema den ersten Quartettsatz. Doch bitter ist bei Schubert nicht der Tod, sondern das Leben, sein Leben: „ ... ich fühle mich als den unglücklichsten, elendesten Menschen auf der Welt. Denk Dir einen Menschen, dessen Gesundheit nie mehr richtig werden will, und der aus Verzweiflung darüber die Sache immer schlechter statt besser macht, denke Dir einen Menschen, sage ich, dessen glänzendste Hoffnungen zu Nichte geworden sind, dem das Glück der Liebe und Freundschaft nichts bieten als höchstens Schmerz, dem Begeisterung (wenigstens anregende) für das Schöne zu schwinden droht, und ich frage Dich, ob das nicht ein elender, unglücklicher Mensch ist? 'Meine Ruh ist hin, mein Herz ist schwer, ich finde sie nimmer und nimmermehr', so kann ich wohl jetzt alle Tage singen, denn jede Nacht, wenn ich schlafen geh, hoff ich nicht mehr zu erwachen, und jeder Morgen kündet mir nur den gestrigen Gram. So freude- und freundelos verbringe ich meine Tage ...“.
Wie unterschiedlich berührend und erschreckend die einleitenden Takte des ersten Satzes und damit Schuberts tiefes Seelenleiden realisiert werden können weiß man von den zahlreichen Interpretationen verschiedener Quartettformationen. In Mahlers streichersatter Bearbeitung in der Interpretation durch Roman Simovic, der hier 28 Streicher des LSO dirigiert, als dessen junger Konzertmeister er neben seiner Solokarriere tätig ist, erfasst den Hörer durch die Einleitungstakte ein veritabler Gewittersturm, den die kleinere Quartettbesetzung mangels Masse in der Intensität nicht vom Zaun brechen kann. Die Londoner Kammerorchesterbesetzung demonstriert im weiteren Verlauf von Der Tod und das Mädchen, dass die größere Besetzung nicht nur zu kräftigem Effekt in der Lage ist, sondern zarte Passagen nicht minder eindrucksvoll darzustellen vermag und dadurch die zeitgenössischen Kritiker Mahlers posthum widerlegt, die größere Besetzung wäre zur Erzeugung intimer Intensität nicht in der Lage. Jedenfalls ließ sich Mahler von dieser Kritik derart entmutigen, dass er lediglich die Bearbeitung des ersten Quartettsatzes für Kammerorchester zu Ende führte. Die restlichen Sätze wurde in den 1980er Jahren durch den Musikwissenschaftler Donald Mitchell und den Komponisten David Matthews für große Streicherbesetzung arrangiert und in der Folge recht häufig zu Aufführung gebracht und auf Tonträger gespeichert. Auf Tonträger bzw. als Download nimmt die Life-Aufführung im April 2015 im Londoner Barbican Centre durch Roman Simovic, der die LSO Streicher zu expressivem Spiel animiert und in zarten Passagen eine erschütternde Intensität aufbaut, eine Spitzenstellung ein.
Auch die zweite Komposition dieses Downloads, die Kammersinfonie in c-Moll ist ein Arrangement, genauer eine Orchestrierung des Streichquartetts Nr. 8 von Dimitri Schostakowitsch durch Rudolf Barschai, der die Orchestrierung des Quartetts zu seiner Zeit als Chefdirigent des Moskauer Kammerorchesters unternommen und in dieser Besetzung erfolgreich selbst aufgeführt hatte. Nicht weniger düster als das Schubert-Quartett spiegelt sich in der Kammersinfonie die niedergedrückte, depressive Stimmung des Komponisten, der das Quartett, in dem die Initialen DSCH des Komponisten klingend eine Rolle spielen, in gerade einmal drei Tagen zu Papier gebracht hatte. Die Orchestrierung durch Barschai wurde von seinem Freund und Lehrer Schostakowitsch als gültige Version des Originalwerks anerkannt.
Neben lyrische Teilen, die durch die LSO Streicher meisterhaft zum Erblühen und Verklingen gebracht werden, setzt Schostakowitsch auf einen strukturierten Bass und abrupt brutal ausbrechende, kreischende, Fratzen schneidende Passagen, die in voller Streicherbesetzung heftig beeindrucken, ja erschrecken: Verzweiflung auf russisch. Starke Nerven sind Voraussetzung, um der krassen Darstellung des stark angegriffenen Seelenleben des Komponisten unbeschadet folgen zu können. Die Aufnahmetechnik schönt weder die schubertsche Verzweiflung noch die schostakowtischen Depressionschübe. Trost spendet in beiden Fällen allenfalls die sagenhafte Virtuosität der LSO Streicher.London Symphony Orchestra String Ensemble
Roman Simovitch, Dirigent